So, bin seit ca. einer Dreiviertelstunde wieder Hause. Hatte heute Nachmittag mein erstes Vorstellungsgespräch bei einer Firma und es lief eigentlich ganz gut, aber mal der Reihe nach.

Zunächst mal, der Sitz der Firma ist im Mori Tower in Roppongi Hills, einem sehr prestigeträchtigen Gebäude im Herzen von Roppongi (ein berühmt-berüchtigter Stadtteil Tokios), in dem viele Hightechfirmen, wie z. B. Google, ebenfalls ihre Büros haben.

Der Weg dorthin dauert per Bus (von zu Hause bis zum nächsten Bahnhof: ca. 15-25 Minuten, je nach Verkehrslage) und Bahn (direkte Linie, kein Umsteigen nötig: 60 Minuten) ca. 90 Minuten, plus-minus Umsteigezeiten, etc.. Das würde pro Arbeitstag drei Stunden Pendeln entsprechen, was für die Mehrheit der Menschen, die in und um Tokio leben, keine Seltenheit ist. Ich würde tippen, dass 90 Minuten für einen Weg nur etwas mehr als dem Durchschnitt entspricht.

Wie dem auch sei, ich habe natürlich erst mal den “falschen” Bus genommen. Der fuhr zwar auch zu einem Bahnhof, aber zu einem anderen als ich eigentlich wollte. Machte aber nichts, weil ich von da auch direkt durchfahren konnte bis zum Ziel, von daher nicht so schlimm.

Des weiteren wollte sich noch jemand von der “Arbeitsvermittlungsfirma” vorher mit mir treffen, um mir kurz ein bisschen Hintergrundwissen, ein paar Interviewtipps und Verhaltensregeln mit auf den Weg zu geben. Gustav, so nennen wir ihn mal, obwohl er wohl Amerikaner ist, hat sich mit mir eine halbe Stunde vor dem eigentlich Vorstellungsgespräch getroffen und hat erst mal bestätigt, was ich am Abend vorher schon ganz dick befürchtet hatte: das Gespräch wird auf Japanisch sein und mein Gegenüber wird kaum Englisch können.

Er schob dann aber direkt die gute Nachricht hinterher: das Vorstellungsgepräch würde von einem der IT-Manager und Softwareentwickler gehalten, der höchstwahrscheinlich genauso nervös sein würde wie ich, weil er kein Englisch kann. Außerdem würde es in dem Gespräch hauptsächlich um die technischen Details und Systeme sowie die Entwicklungsumgebung und meine Erfahrungen im Umgang mit den verschiedenstens Technologien geben. Falls es Verständnisschwierigkeiten geben sollte, sollte ich einfach auf meinen (japanischen!! Danke an meine Frau, die mir dabei geholfen hat mein CV zu übersetzen!) Lebenslauf zeigen und andeuten, dass ich diese oder jene Technologie beherrsche oder entsprechende Erfahrungen habe.

Gustav schob dann noch etliche Informationen zu der Firma nach, z. B. das sie im letzten und in diesem Jahr exponentiell expandiert sind und jetzt den amerikanischen und europäischen Markt angreifen wollen und dafür halt entweder Japaner mit perfektem Englisch oder aber Ausländer mit guten Englischkenntnissen und internationaler Erfahrung benötigen (Japanischkenntnisse wären zwar schön, sind aber kein Muß). “Passt!” dachte ich da nur. Dat kann ich. :-)

Gehaltstechnisch war die Firma auch schon mal ein bisschen verrückt und hat noch vor bis zu 4 Jahren (also bis 2007/2008) Anfängern, die als Supportmitarbeiter und Hotliner eingestellt wurden, ca. 100.000 Euro pro Jahr in den Arsch geblasen. Die Zahl habe sich aber in den letzten Jahren wohl an die Realität angepasst und betrüge jetzt nur noch 30.000 - 50.000 Euro pro Jahr, je nach Position und Erfahrung. Für die Position, die ich anstrebe und für dich ich mich dort bewerbe, sind je nach Erfahrung und Sprachkenntnisse 50.000 - 120.000 Euro machbar (ziemlich große Spanne, oder?). Achja, und ein jährlicher Bonus von bis zu 20% vom Grundgehalt sind auch noch drin, wenn die Performance stimmt.

Als letzte Info gab er mir dann noch mit auf den Weg, dass die Firma alleine heute ca. 40-50 Leute interviewt hätte, davon 95% Japaner und das würde seit Wochen so gehen, aber sie hätten noch keinen passenden Kandidaten gefunden. Huch?! Okay…. Außerdem wäre dies nur der erste Stolperstein bzw. das erste Interview in einer Reihe von Gesprächen. Wenn ich dieses erfolgreich überstehen würde, dann käme als nächstes ein Vorstellungsgespräch mit dem IT-Leiter und wenn das dann erfolgreich war, dann kommt es schlussendlich zum Showdown mit den großen Fischen, dem Chef des Unternehmens bzw. einem seiner Vertreter. Aber, so meinte Gustav, wenn es soweit kommt, dann hätte ich den Job schon so gut wie sicher, da das Gespräch dann nur noch reine Formalität wäre. Interessant, oder?

Das hörte sich alles sehr gut an in meinen Ohren, aber trotzdem war mir doch ein wenig mulmig vor dem ersten Vorstellungsgespräch in Japanisch. Insbesondere vor keigo, den verschiedenen Stufen der Höflichkeit im Japanischen, war mir Bange, da ich zwar das normale Höflichkeitslevel beherrsche (lernt man im ersten Semester), aber das Level darüber, welches man normalerweise in so einer Situation verwenden würde, nicht mal annähernd korrekt anwenden kann. Gustav meinte aber, dass ich mir da keine Sorgen machen müsse, da sie a) die Leute vorher auf meine Sprachfähigkeiten hingewiesen haben und b) ich da sowas wie einen gaijin Bonus (“Ausländerbonus”) genießen würde (gaijin Bonus = Japaner sind der Meinung, dass Ausländer bzw. Nicht-Japaner nie wirklich korrektes Japanisch können werden, daher verzeiht man ihnen schon mal eher Fehler).

Um es kurz zu machen: ich mache mir manchmal echt zu viele Sorgen. Das Gespräch lief prima, aus meiner Sicht. 95% der Zeit haben wir uns auf Japanisch unterhalten, und jedes Mal wenn das Gespräch etwas in Stocken kam, da habe ich einfach irgendeins meiner alter Projekte aus meinem Lebenslauf aufgegriffen, bin zum Whiteboard gegangen und habe es versucht schematisch und organisatorisch aufzumalen und anhand dessen zu erklären, welche Technologien wie wo eingesetzt wurden, was ich wie und wo gemacht habe, was andere Leute dazu beigetragen haben, was das Ziel des Ganzen Projekts war usw..

Daraus entwickelte sich ein dynamisches Frage-Antwort-Spiel, da mein Gegenüber nun konkrete Fragen zu konkreten Projekten und Problemen stellen konnte. Das war uns beiden eine große Hilfe. Natürlich hatte mein Gegenüber (entschuldigt, aber ich habe seinen Namen schon wieder vergessen) auch generelle Fragen zu meiner Person, zu meinem Lebenslauf und warum ich bei der Firma anfangen möchte und so (so Standardfragen halt), aber die waren relativ schnell aufgebraucht.

Nach mehr als einer Stunde (geplant war ca. eine Stunde) war das Gespräch dann auch vorbei und der gute Mann (etwa mein Alter) begleitete mich noch bis zum Aufzug.

Alles im allen bin ich ganz optimistisch, was das erste Vorstellungsgespräch angeht, allerdings weiß man bei Japanern nie wirklich 100% was genau die nun denken oder tun werden, auch wenn sie noch so freundlich sind und einen ständig anlächeln. Ich schätze Anfang oder Mitte nächster Woche kriege ich Bescheid ob es ein zweites Interview geben wird. Es wäre jedenfalls sehr geil, wenn das klappen würde.

PS: Zum Thema Überstunden, Bezahlung, etc. pp. werde ich vielleicht ein anderes Mal etwas ausführlicher berichten. Ich brauche jetzt erst mal ein bisschen Ruhe.

PPS: Unsere Nachbarin ist klasse. Da meine Frau heute Überstunden kloppen musste und ich bei diesem Vorstellungsgespräch war, hatte keiner von uns Zeit die Kinder zum Violin/Geigen-Unterricht zu bringen. Sie hat das dann freundlicherweise für uns übernommen. Echt klasse!